Max: Marcus, wie kommst Du rein?
Marcus: Sehr gut. Ich habe in der Mittagspause gut gegessen, bin erholt. Es kann losgehen!
Max: Das freut mich. Die holakratische Einstiegsfrage passt zu unserem Thema: 6 Monate Holakratie bei smart and public. Kannst Du – am besten kurz und für ein breites Publikum – erklären, was es damit auf sich hat?
Marcus: Die Holakratie stellt eine Alternative zur hierarchischen Organisationsform dar. Es gibt keine Vorgesetzten. Jede:r Mitarbeiter:in nimmt Rollen ein, deren Sinn und Zweck sowie Verantwortlichkeiten explizit festgelegt sind. Als Expert:innen in ihrem Feld dürfen und müssen sie selbst Entscheidungen treffen und verantworten, um ihren Sinn und Zweck und den ihres Kreises, also des ganzen Unternehmens und einzelner Subkreise, zu erfüllen.
Max: Was bedeutet das alles für, sagen wir Frontend-Entwicklerin Sarah, die neu zu uns dazustößt.
Marcus: Sarah würde wie alle Entwickler:innen bei uns die Rolle „Entwicklungsteam“ im Technologiekreis einnehmen. Deren Sinn und Zweck lautet: „Zu jedem Sprint-Ende ein potenziell auslieferbares Produkt-Inkrement bereitstellen.“ Verschiedene Verantwortlichkeiten bestimmen den Rahmen, was auf dem Weg dahin einzuhalten ist. Diese Angaben haben alle immer vor Augen, alle können sich darauf berufen. Wenn jemand allerdings eine Spannung damit hat, lassen sie sich anpassen. Auf jeden Fall sind der Sinn und Zweck sowie die Verantwortlichkeiten in einem holakratisch organisierten Unternehmen nicht wie die klassische Stellenbezeichnung, die in der Schublade landet und keiner wirklich beachtet.
Max: Und Du als Head of Tech kontrollierst die Einhaltung?
Marcus: Ganz und gar nicht. Das passiert von selbst in der Gruppe. Wie gesagt, gibt es keine Vorgesetzten im hierarchischen Sinne. Ich nehme ganz andere Rollen ein, etwa die des „Tech & Tool Scouts“ oder „Unternehmensentwicklung“, die auch keine Kontrollfunktion auf andere Rollen haben. Wenn Sarah schon nach kurzer Zeit etwa eine neue Technologie integrieren will, dann wird ihr da als Expertin vertraut. Es sei denn, jemand hat nachvollziehbare Bedenken, dass damit ein Schaden für die Firma entstehen könnte. Diese lassen sich in regelmäßigen, sehr strukturierten und effizienten Meetings vortragen und prüfen.
Max: Auszuführen, wie ein solches Meeting abläuft, ist wohl ein eigenes Blogthema.
Marcus: Der Ablauf ist sehr eigen, ja. Die Meetings sind jedoch Ausdruck davon, wie viel Einfluss alle auf das Operative und selbst auf das Organisatorische besitzen. Diese Mitsprache erzeugt ein positiveres, näheres Gefühl gegenüber dem Unternehmen.
Max: Was bringt die Holakratie Dir in Deinem Arbeiten?
Marcus: Da ich vorher in einem hierarchischen Unternehmen eine Führungsposition eingenommen hatte, ist mir Verantwortung, um die es bei der Holakratie viel geht, nicht fremd gewesen. Komplett anders ist jedoch das „Führen“. Hier ist es niemandes Aufgabe, für alle mitzudenken, alles zu überblicken und für eine Abteilung zu sprechen. Das ist befreiend in meiner Position als Head of Tech und schafft mir Freiräume für die Weiterentwicklung des Unternehmens und speziell des Technologiebereichs.
Max: War Holakratie also auch ein Jobwechselgrund für Dich?
Marcus: Indirekt vielleicht. Bevor ich über „Holacracy“ in der Stellenanzeige stolperte, hatte ich davon noch nie gehört. Ich bin im Allgemeinen ein recht anpassungsfähiger Mensch, weshalb ich mir darüber erst mal keine großen Gedanken machte. Nach meinen bisherigen Arbeitserfahrungen hatte ich aber sicher nichts dagegen, das hierarchische Organisationsmodell zu hinterfragen – auch wenn man Probleme darin meist an einzelnen Personen festmacht. Davor schützt die Holakratie obendrein. Alle verantworten schließlich ihr eigenes Tun.
Max: Eine spezielle Herausforderung war für Dich und das Tech-Team die Verheiratung von Holakratie mit der agilen Arbeitsweise Scrum für unsere Software-Entwicklung. Wie funktioniert das?
Marcus: Ich vergleiche ein funktionierendes Scrum-Team immer gerne mit einem Bienenstock. Das vibriert, es ist Bewegung drin. Und da darf keiner von außen kommen und Rauch hineinblasen, damit alles lahmt und zum Erliegen kommt. Die Holakratie mit seinen Rollen und Verantwortlichkeiten gibt dem Scrum-Team die Sicherheit, dass das nicht passieren kann. Nötige Entscheidungen oder Freigaben können nicht von außen kommen, sondern finden über die holakratischen Prozesse „drinnen“ statt. Somit ist Scrum in ein Umfeld eingebettet, welches den agilen Gedanken auf wunderbare Weise versteht und stärkt. Der Bienenstock kann also brummen.
Max: Und das ganz ohne Bienenkönigin als Anführerin?
Marcus: Einzig und allein mit Bienenköniginnen, wenn man so will – und ganz ohne simple Arbeitsbienen!