Zwei Geschäftsführer:innen, zwei Generationen, zwei unterschiedliche Ansätze: ImDoppelinterview standen der scheidende WVV-Geschäftsführer Thomas Schäfer und Sua Hwang, Geschäftsführerin der Tochter smart and public, der ZfK Rede und Antwort. Thomas Schäfer war Geschäftsführer der Würzburger Versorgungs- und Verkehrs-GmbH (WVV), er ist im April in den Ruhestand gegangen. Seine ehemalige Referentin für digitale Themen, Sua Hwang, ist inzwischen Geschäftsführerin der 2021 auf Initiative Schäfers ausgegründeten Tochter smart and public GmbH.

Herr Schäfer, Sie haben in Ihrem Berufsleben sehr viele Transformationen mitgemacht. Was ist Ihrer Meinung am wichtigsten, damit eine Transformation klappt?

Thomas Schäfer: Man muss sehr viele Menschen einbinden – vor allem diejenigen, die von den Prozessen betroffen sind. Gleichzeitig muss man auch die Sicht von außen berücksichtigen. Man sollte auch nicht den Fehler machen, zu glauben, dass man ein Weltmodell generiert, sprich, alle Probleme gleichzeitig lösen kann. Es muss eine sinnvolle Größenordnung sein. Wir haben gute Erfahrungen gemacht, Meilensteine zu definieren mit denen wir uns jeweils einzeln beschäftigt haben. Anschließend geht man wieder einen Schritt weiter.

Zur Transformation der WVV gehört auch das Tochterunternehmen smart and public. Herr Schäfer was war Ihre Motivation, dieses Unternehmen zu gründen?

Schäfer: Unsere Mitarbeiter halten unsere operativen Systeme am Laufen – das ist eine extrem wichtige Arbeit. Immer wenn ein neues Thema aufkam, hatte die Verbesserung des operativen Systems Vorrang. Daher war schnell klar, dass wir neben unserer klassischen IT, die das Tagesgeschäft am Laufen hält, eine Einheit außerhalb brauchen, die solche Aufgaben anders priorisieren kann. Zudem wollten wir auch Menschen an Bord holen, die nicht klassisch aus der Versorgungsbranche kommen und neue Denkweisen hereinbringen.

Sua Hwang: Wir waren für neue Systeme und Apps in der Vergangenheit immer auf Dienstleister angewiesen, für die wir viel Geld ausgaben, ohne dass Know-how im Haus aufgebaut wird. Wir waren uns deshalb einig, es wäre viel besser, wenn wir selbst etwas aufbauen und direkt Mehrwerte erzielen können.

Wie sind die Zukunftspläne mit smart and public?

Hwang: Wir konnten in den vergangenen zwei Jahre erfolgreich das Fundament legen, sodass wir nun in der Lage sind, hochwertige Software im kommunalen Bereich zu entwickeln. In den nächsten fünf Jahren gilt es, diese Basis weiter auszubauen. Wir holen auf, was andere Unternehmen bereits einsetzen und andererseits schaffen wir auch Neuentwicklungen. Gerade für Letzteres haben wir ein wirklich smartes Team aus aktuell 17 Personen zusammenbekommen.

Apropos smartes Team, wie sehr betrifft Sie der Fachkräftemangel?

Hwang: Ich ging anfangs davon aus, dass das Recruiting sehr schwierig wird. In der Corona-Zeit kamen allerdings auch viele zu Hause ins Grübeln, ob sie mit Ihrer Arbeit zufrieden sind und ob es sich dabei um eine sinnstiftende Tätigkeit handelt. Wir konnten genau diesen Nerv treffen, indem wir gesagt haben: Ihr könnt Eure Stärken bei uns für etwas Sinnvolles einsetzen – nämlich für die Digitalisierung im öffentlichen Bereich. Das hat Eindruck gemacht und wir hatten dementsprechend sehr viele Bewerber und Bewerberinnen.

Wie unterscheiden Sie beide sich in der Herangehensweise bei der Arbeit?

Hwang: Herr Schäfer geht komplexe und facettenreiche Herausforderungen stets mit einem konzernweiten Blick an. Er findet die richtige Balance und weiß die Bedeutung von Agilität und Innovationen zu schätzen. Was mich besonders fasziniert: Er strahlt immer Ruhe aus. Ich bin eher schnell und dynamisch, während Herr Schäfer die langfristige Vision und Stabilität im Blick behält. In turbulenten Zeiten ergänzen sich unsere Herangehensweisen.

Schäfer: Es gibt zwei Besonderheiten: Die eine ist kulturell geprägt. Frau Hwang kommt nicht aus Deutschland, da merkt man einen deutlichen Unterschied. In Südkorea werden viele Dinge nicht einfach akzeptiert und als gegeben hingenommen. Und Frau Hwang ist leicht zu begeistern. Das ist extrem wichtig für diese Aufgabe, denn oft stellt man fest: Der Weg, den man eingeschlagen hat, funktioniert nicht. Dann muss man das relativ schnell abhaken und sich auf etwas Neues einlassen können.

Frau Hwang, Sie kommen aus Südkorea?

Hwang: Ja, ich bin in Seoul aufgewachsen. Das erste Mal nach Würzburg kam ich in Folge eines Erasmus-Austausches im 5. Semester. Ich fand es hier so schön, dass ich dort ein zweites Studium parallel zu meiner Heimatuni begonnen habe. Schließlich bin ich als Praktikantin bei der WVV eingestiegen und bin seitdem geblieben.

Wie ging es dann weiter?

Hwang: In einem Mitarbeitergespräch hat mich Herr Schäfer gefragt, wo ich mich in fünf Jahren sehe. Ich war damals 30 und habe ihm erläutert, dass ich in fünf Jahren vielleicht ein Masterstudium machen will. Herr Schäfer hat mir zahlreiche überzeugende Gründe mitgegeben, warum ich das Studium lieber gleich machen sollte, als fünf Jahre zu warten. Und so habe ich nebenberuflich meinen Master im Fach Digitalisierung gemacht.

Digitalisierung in Deutschland: Das klingt eher wie ein Kulturschock im Vergleich zu Südkorea?

Hwang: Südkorea hat eine sehr ausgeprägte Service-Orientierung. Wie Herr Schäfer erwähnte, tolerieren es die Menschen dort kaum, wenn Dienstleistungen nicht reibungslos oder möglichst einfach funktionieren. In Deutschland dagegen neigt man dazu, sich bei Freunden und Familie zu beschweren, wenn etwas nicht funktioniert oder die Bahn wieder Verspätung hat. In Korea würde man das nicht verstehen. Dort wenden sich die Menschen nicht an den Kundenservice, sondern melden sich gleich bei der obersten Ebene. Ein Standardsatz ist immer: „Ich möchte mit dem Manager sprechen!“ Das gilt für den Supermarkt genauso wie für das Rathaus oder im Einzelhandel. Diese Haltung führt dazu, dass Prozesse ständig unter einem gewissen externen Druck stehen und optimiert werden müssen, um den Erwartungen zu entsprechen.

Schäfer (scherzhaft): Sie sehen, es ist nicht so einfach mit Frau Hwang zusammenzuarbeiten, sie spricht Probleme unmittelbar an und sucht nach einer sofortigen Lösung.

Deutschland ist bei der Digitalisierung wohl eher hintendran?

Hwang: Dass Deutschland in puncto Digitalisierung nicht ganz vorne mit dabei ist, verstehe ich als Chance. Es bedeutet, dass wir von den Erfahrungen anderer Länder lernen können. Von Produkten und Dienstleistungen, die sich bereits bewährt haben.

Schäfer: Bei der Digitalisierung leiden wir an vielen Stellen an der föderalen Struktur. In jeder Gebietskörperschaft, jedem Landkreis, jedem Bundesland gibt es eigene Lösungen für eigentlich standardisierte Prozesse. Etwa beim Anmelden von Kfz oder bei Umzügen. Das macht es schwierig, das zu vereinheitlichen.

Und wo drückt der Schuh bei der Digitalisierung bei Stadtwerken?

Schäfer: Die komplette Branche leidet daran, dass wir die letzten zwei drei Jahre die Preisbremsen und weitere politische Vorschriften umsetzen mussten. Da ist kaum mehr Zeit für Innovationen.

Größtes Trendthema ist gerade KI, wie schätzen Sie das ein?

Hwang: Ich verfolge die Entwicklung rund um künstliche Intelligenz mit großem Interesse seit 2016 ein koreanischer Go-Spieler von Alphago besiegt wurde. Obwohl KI oft negativ in den Nachrichten oder in Science-Fiction dargestellt wird, bin ich überzeugt, dass sie uns enorme Vorteile bringen wird. KI wird jeden Aspekt unseres Lebens beeinflussen und das schließt auch die Energiewirtschaft mit ein.

Schäfer: Das kann ich bestätigen. Inzwischen stecken in fast allen Produkten, die wir einsetzen, KI-Komponenten, die über Updates dazukommen. Das ist kein planvolles Vorgehen mehr, an vielen Stellen gelangt das ungesteuert ins Unternehmen. Hier ist es besser, eine eindeutige Positionierung zu finden. Man muss jedoch aufpassen. Bei Bewerbungen zum Beispiel könnte KI eine Vorselektion durchführen nach Kriterien, die wir nicht kennen. Hier kann auch Missbrauch und Diskriminierung stattfinden, wenn Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Geschlechts aussortiert werden. Das wollen wir auf keinen Fall.

Sie verfolgen bei smart and public einen New-Work-Ansatz. Was verstehen Sie darunter?

Hwang: Das geht auf meine Zeit im WVV-Konzern zurück. Spätestens nach meinem Aufstieg zur Referentin der Geschäftsführung verspürte ich unglaublich viel Freiheit und konnte meine eigenen Entscheidungen treffen. Das war 2017, ich war Anfang 30 und die WVV gilt als ein eher traditionelles Unternehmen. Ich bin mir bewusst, dass ich großes Glück hatte und gerade Herrn Schäfer sehr dankbar sein kann! Denn diese Freiheit in meinem Job war Gold wert, damit ich mich weiterentwickeln konnte. Genau diese Autonomie, die ich damals gespürt habe, will ich bei smart and public für alle sicherstellen. Bei uns gibt es keine klassische Hierarchie, wir leben eine Holakratie.

Was bedeutet das konkret?

Hwang: Wir sind in Rollen und Kreisen organisiert und so quasi alle unsere eigenen Chefs – weil es einfach am besten zu unserer Vision und unserem Vorgehen passt. Wir können so flexibel auf Anforderungen reagieren und Neuerungen schnell vorantreiben. Ich als Geschäftsführerin kann nicht entscheiden, welche Programmiersprache oder welches System besser geeignet ist. Dafür haben wir Experten und Expertinnen, die diese Entscheidungen treffen. Bei uns können alle in ihren Rollen ihre Ideen direkt einbringen und umsetzen, ohne große Umwege oder Genehmigungsverfahren. Was man für sinnvoll hält, geht man direkt an, und es hat sofort Auswirkungen – entweder für uns intern oder für unsere Kund:innen. Das macht uns agil, stärkt das Gefühl der Eigenverantwortung und sorgt dafür, dass wir uns kontinuierlich verbessern.

Schäfer: Natürlich gibt es weiterhin bestimmte Rollen für die Hierarchien gelten. Die Steuererklärung kann nicht jeder unterschreiben, das muss der Geschäftsführer machen, und der steht auch als Gesprächspartner für den Aufsichtsrat zur Verfügung.

Kann da nicht einiges schiefgehen, wenn jeder entscheiden darf?

Hwang: Wenn wir einen Fehler machen, dann lernen wir daraus und kommunizieren diesen auch in der Organisation, damit wir diesen Fehler nicht zweimal machen müssen.

Herr Schäfer, würden Sie bei den WVV nicht auch lieber so arbeiten wollen?

Schäfer: Bei uns ist das zum Teil gar nicht möglich, etwa beim ÖPNV. Da kann man nicht einfach sagen, ich fahre heute mal ganz anders und fange heute meine Schicht mal ein bisschen später an. Wir können hier nur wenig individuelle Kreativität zulassen. Es ist auch nicht jeder davon begeistert, so viel Freiheit zu haben. Das Modell muss ja auch zu den Menschen passen und sie müssen sich damit wohlfühlen. Diese Arbeitsweise bedeutet nämlich nicht nur Freiheit, sondern auch alle eine große Verantwortung für das Unternehmen.

Herr Schäfer sind jetzt 18 Jahre Geschäftsführer, was nehmen Sie mit aus dieser Zeit?

Schäfer: Es ist ein extrem breites Geschäftsfeld, es gibt verschiedenste Branchen mit unterschiedlichen Herausforderungen und sehr vielseitigen Menschen. Ich hatte das Glück, dass wir bei der WVV immer verständnisvoll mit der Politik zusammengearbeitet haben. Wir haben auch gewisse Freiheitsgrade als Unternehmen bekommen. Und es ist schön, die Auswirkungen unseres täglichen Tuns unmittelbar in der Stadt zu sehen – und zwar bei fast jedem Bewohner von Würzburg. Wenn wir eine Buslinie verändern, sind ein paar Menschen wegen einer besseren Verbindung glücklicher, und im Winter liefern wir Wärme. Diese Unmittelbarkeit ist sehr wohltuend.

Frau Hwang, von welchen Erfahrungen von Herrn Schäfer konnten Sie besonders profitieren?

Hwang: Ich hatte das große Glück, dass ich in der ersten Reihe beobachten konnte, wie ein Konzern in verschiedenen Bereichen funktioniert. Was für mich besonders wertvoll war, war der direkte Austausch etwa über Mitarbeitergespräche. Mir ist nachhaltiges Arbeiten sehr wichtig, deshalb ist mein zentrales Anliegen, wie man beständig Leistung sicherstellt. Dazu haben wir uns intensiv ausgetauscht. Und ich bin Herrn Schäfer sehr dankbar, dass er mich stets motiviert hat, meinen eigenen Ansatz zu finden.

Dieses Interview erschien erstmals unter www.zfk.de, dem Online-Auftritt der Zeitung für kommunale Wirtschaft. In der Print-Ausgabe Mai 2024, veröffentlicht am 6. Mai 2024, wurde ein zweiter Teil des Interviews, „Der Mentor und die Mentee“, abgedruckt – siehe unten.

Die Fragen stellte Stephanie Gust.

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