Karina konzentriert bei einem Workshop.

Das Entwicklungsteam von smart and public setzt sich Stand Januar 2023 aus sechs Männern und zwei Frauen zusammen. Karina ist Scrum-Masterin und Testerin, Sua Product-Ownerin. Keine zehn Prozent der bisher eingegangenen Bewerbungen für Tech-Stellen stammen aus den Geschlechtergruppen weiblich und non-binär. Warum ist das so? Die Frage bewegt auch Karina. Deshalb sprach Max mit ihr über Rollenverteilung in und bei der Erziehung, über fehlendes Zutrauen und über ihren ganz persönlichen Weg in der IT-Branche.

Max: Karina, wie kommst Du rein?

Karina: Gut. Auch gut, dass wir im Vorfeld schon mal über das Thema gesprochen haben. So hält sich meine Nervosität in Grenzen.

Max: Wir beginnen auch ganz leicht für Dich, nämlich mit Dir selbst. Wann und wie hast Du angefangen, Dich mit Computern auseinanderzusetzen?

Karina: Das war als Kind mit dem Computerspielen. Wir selbst hatten keinen. Doch bei einem meiner Onkels spielte ich immer “Soko-Ban”. Da musste man Kisten in möglichst wenigen Aktionen zu einer Zielfläche verschieben. Alles noch ganz rudimentär. Ein anderer Onkel hatte dann später auch jede Menge Spiele. Da habe ich geflippert und so.

Max: Also warst Du ein Nerd-Mädchen ..?

Karina: Das würde ich nicht sagen. Aber ich interessierte mich schon früh auch für andere Dinge als viele meiner Schulkolleginnen. Mit meiner besten Freundin war ich zum Beispiel im Segel- und Motorflugverein. Und eine Tüftlerin war ich auch. Um den Sinclair-Computer von einem dieser Onkels zum Starten zu bringen, hat es Hartnäckigkeit gebraucht. Ich wollte halt spielen … Aber Programmieren oder was Eigenes kreieren war damals kein Thema.

Karina bei ihrer Arbeit als Scrum-Masterin
Selbst programmieren ist nicht nötig: Karina bei dei der Arbeit als Scrum-Masterin.

Max: Wann und wie kam es dazu?

Karina: In der Schule lernten wir in einem Wahlfach GW-Basic, was in mir allerdings keine Begeisterung wecken konnte. Wirklich länger auseinandergesetzt mit Computern habe ich mich erst nach dem Abi und nach einem kurzen Au-pair-Aufenthalt in Irland. Vor Ort schrieb ich wöchentliche Rundmails. Wieder zu Hause, zog ich das Ganze größer auf und baute eine Webseite für die Texte und Bilder, also quasi ein Blog. Damals noch mit WYSIWYG-Tools wie Microsoft Frontpage. Ich hatte viel Zeit und wollte, dass das schön aussieht.

Max: Das war also der Antrieb zu Deiner späteren Studienwahl …

Karina: Genau. Das hat mir Spaß gemacht und mich interessiert. Mein damaliger Freund und heutiger Mann hatte damals bereits in Lübeck angefangen zu studieren. Also schaute ich, was es dort in Richtung Webdesign gab, und wurde mit “Informationstechnologie und Gestaltung” fündig. Wir beackerten da die Schnittstelle zwischen Programmierung und Design. Und bis zum Studienstart machte ich ein Praktikum in einer Webagentur.

Max: Was hattest Du vor mit deinem Studium?

Karina: Ich dachte lange, das wird das, was ich bei meinem Praktikum machen durfte: Webseiten bauen. Auch vom Kinderkriegen ließ ich mich kaum ablenken und zog alles ohne längere Pausen durch. Am Ende hatte ich aber wahnsinnig Glück, dass mir Adobe über mein Xing-Profil noch während meiner Diplomarbeit eine Stelle als Testerin anbot. Das eröffnete mir eine ganz neue Perspektive und weckte meinen Ehrgeiz.

Max: Wie hoch war der Frauenanteil in deinem Studiengang?

Karina: Von den 20, die durchkamen, vielleicht so fünf bis acht Frauen. Die meisten zog der Gestaltungsaspekt an – wie mich ja auch erst. Ich tat mir aber nicht so schwer in den technischen Fächern und Mathe wie viele meiner Kommilitoninnen. Da hatte ich vielleicht den Vorteil eines bayerischen Abiturs im Rücken. Vieles war für mich nur Wiederholung, und schlecht war ich da eh nie. Einzig Programmieren gefiel mir abermals nicht, was für Testerinnen allerdings verkraftbar ist.

Max: Du bezeichnest dich als Tüftlerin, hattest Segel- und Motorflug als Hobby und warst in der Schule gut in naturwissenschaftlichen Fächern. Auch wenn Du kein Nerd warst, ein “Mädchen-Mädchen” warst Du offensichtlich nicht, oder?

Karina: Vielleicht lag das daran, dass ich die Erstgeborene bin und mein einziger Bruder erst elf Jahre später kam. Da übernahm ich sicher auch Aufgaben, die in anderen Haushalten sonst Jungs vorbehalten waren. Oftmals wird Mädchen vermittelt, sie seien handwerklich unbegabt, könnten kein Mathe und Physik – und Computer wären etwas für Jungs. Und schon setzt die selbsterfüllende Prophezeiung ein. Diese Mädchen werden sich all das eher nicht zutrauen und nur machen, was man von ihnen erwartet. Da haben mir meine Eltern und Lehrer dankenswerterweise etwas anderes vermittelt.

Karina bringt sich ein beim Workshop im Workcafé
Karina bei einem Workshop in unserem Workcafé.

Max: Und Du als Mutter von drei Kindern?

Karina: Bei uns ist das völlig aufgeweicht. Ich mähe den Rasen, die Jungs müssen putzen, mein Mann kocht. Mein Schwiegervater war Erziehungskundelehrer und Alt-68er. Da waren traditionelle Rollenbilder verpönt. Für meinen Mann war es also vor 20 Jahren bereits selbstverständlich, nachts schreiende Kinder in den Schlaf zu wiegen. Das hat mir meinen Weg in der IT-Branche natürlich auch erleichtert: Ich konnte am Ball bleiben und musste keine größeren Pausen einlegen, da wir uns Kinderbetreuung oder die Arbeit zu Hause geteilt haben.

Max: Meinst Du, eine traditionelle Rollenverteilung in der Erziehung ist ein Mitgrund für den niedrigen Frauenanteil in technischen Berufen?

Karina: Absolut. Zum einen leben so nicht alle ihren Töchtern vor, dass es keine Einschränkungen für sie geben muss und sie ihre Interessen frei wählen und verfolgen können. Zum anderen glaube ich: Wenn Frauen in fordernden technischen Berufen fünf oder gar zehn Jahre wegen Kindererziehung raus sind, verpassen sie viele neue Entwicklungen. Das macht erst mal nichts, gerade gut ausgebildete Frauen sollten sich schnell wieder zurechtfinden. Doch sie unterschätzen sich und trauen es sich häufig nicht zu.

Max: Was sich auch beim Recruiting zeigt.

Karina: Ja, davon hatten wir es letztens bereits. Frauen lesen Stellenanzeigen anders als Männer. Männer denken sich: “Das kann ich fast alles, irgendwie. Da bewerb’ ich mich.” Frauen dagegen, da nehme ich mich nicht aus, fühlen sich verunsichert, wenn sie nur einen Punkt nicht zu 100 Prozent erfüllen können. Deswegen hast Du ja in den Stellenbeschreibungen einen Part ergänzt.

Karina ist gut drauf.
Karina arbeitet gerne in der IT – wünscht sich aber noch mehr Frauen, die sich selbiges trauen.

Max: Genau. Da heißt es seit ein paar Wochen: “Du erfüllst unsere Anforderungen nicht zu 100 Prozent? Kein Problem, wir setzen schließlich auf ständige Weiterentwicklung. Bewirb Dich trotzdem!” Bisher hat es aber noch nicht gefruchtet …

Karina: Aber es ist ein Schritt zu auf Menschen, die kein “männliches” Selbstverständnis besitzen. Nur leider gibt es gerade hierzulande einfach sehr wenige Entwicklerinnen.

Max: Was wäre noch nötig, um mehr Nicht-Männer für diesen Berufszweig zu begeistern?

Karina: Flexibleres Arbeiten auf jeden Fall, eine freiere Zeiteinteilung und nicht die Voraussetzung vieler Überstunden. Das fällt für mich alles unter Familienfreundlichkeit im Beruf. Auch muss sich das Bild von Software-Entwicklung ändern: Gerade bei uns hat das wenig mit sozial unfähigen, blassen Geeks, versteckt unter ihren Kapuzenpullis und eingesperrt in fensterlosen Kellern zu tun. Wir pflegen ein echtes Miteinander, tauschen uns aus, sprechen auch über andere Dinge. Das wirkt sicher einladender auf Frauen. Und bereits in der Schule finde ich MINT-Projekte nur für Mädchen eine gute Sache – um herangeführt zu werden und um Begeisterung zu wecken, die man lange lediglich Jungs zusprach.

Max: Warum ist das Deiner Meinung nach überhaupt nötig? Was bringt Diversität einem – in unserem Fall – Scrum-Team?

Karina: Meiner Erfahrung nach ist die Stimmung eine ganz andere, wenn ein Entwicklungsteam nicht nur aus Männern besteht. Es geht lockerer zu und vor allem freundlicher. Zudem helfen unterschiedliche Erfahrungen und Sichtweisen auch dem Endprodukt. Man programmiert schließlich nicht nur für Männer. Als Scrum-Masterin und Testerin habe ich da sicherlich bereits einen Einfluss. Ich würde mich aber über mehr Diversität freuen – und noch mehr auf eine Zukunft, in der das ganze Geschlechterthema auch wirklich keine Rolle mehr spielt …

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